Hirtenwort zur Würde des Wortes Gottes
Papst Franziskus hat mit dem Apostolischen Schreiben «Aperuit Illis» vom 30. September 2019 allen Gläubigen die Wichtigkeit der Beziehung zum lebendigen Wort Gottes in Erinnerung gerufen. Das Ewige Wort, das von Anfang an beim Vater war, ist in Jesus Christus Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (vgl. Joh 1). Dieses Geheimnis dürfen wir in den kommenden Festtagen erneut stau-nend meditieren. Der Geist Gottes ist überall da gegenwärtig, wo das Wort Gottes gehört und meditiert wird.Dem Papst ist eine lebendige und horchende Beziehung mit dem Wort Gottes ein grosses Anliegen. Darum schreibt er: „Wir verspüren […] die dringende Notwendigkeit, uns mit der Heiligen Schrift und dem Auferstandenen eng vertraut zu machen, der nie aufhört, das Wort und das Brot in der Gemeinschaft der Gläubigen zu brechen. Aus diesem Grund müssen wir zu einer ständigen Vertrautheit mit der Heiligen Schrift gelangen, sonst bleibt das Herz kalt und die Augen verschlossen, da wir, wie wir nun einmal sind, von unzähligen Formen der Blindheit betroffen sind.“
Um dieses Anliegen zu stärken, hat Papst Franziskus einen Sonntag des Wortes Gottes festgelegt, der jährlich am 3. Sonntag im Jahreskreis, Mitte Januar, begangen wird. Wir Bischöfe und Territorialäbte nehmen das Anliegen des Papstes gerne auf und wenden uns bereits jetzt, zu Beginn eines neuen Kirchenjahres, an alle Gläubigen, zumal die internationale Katholische Bibelföderation 2020 ein Jahr der Bibel ausgerufen hat. Wir möchten hier mit ein paar Überlegungen die Aufmerksamkeit vor allem auf die Verkündigung des Wortes Gottes in der Liturgie lenken. Die neue Übersetzung der Heiligen Schrift, die in unseren Gottesdiensten
seit einigen Jahren in Gebrauch ist, will uns zum neuen und tieferen Hinhören einladen.
Die Heilige Schrift als Ort der Begegnung mit Gott
Dem Zweiten Vatikanischen Konzil war es ein wichtiges Anliegen, die Heilige Schrift den Gläubigen näher zu bringen. Für lange Zeit war aus dem Blick geraten, dass Gott in der Heiligen Schrift auch heute noch zu den Menschen spricht. Schon die Erzählung von der Schöpfung der Welt gibt Zeugnis davon, dass alles erst durch das Wort Gottes wurde. Das Wort Gottes ist ein schaffendes und immer wieder neuschaffendes Wort. Als die Fülle der Zeit gekommen war, wurde das Wort Gottes Mensch, so bezeugt das Johannesevangelium die Geburt Jesu Christi (vgl. Joh 1). Es ist derselbe Christus, der zum Ende der Bibel verspricht: „Ja, ich komme bald“ (Offb 22,20). So spannt die Bibel einen grossen Bogen von der Erschaffung der Welt bis zur endgültigen Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten. In dieser grossen Zeitspanne lässt sich Gott erfahren, indem sein Wort je neu gehört wird und Antwort durch die Menschen findet. Nach ihrem Selbstverständnis besteht die Schrift nicht einfach aus Texten, die von Gott handeln. Die Bibel ist Ort der Begegnung mit dem einen Gott, der sich in seinem Wort selbst zu erkennen gibt.
Die Bibel berichtet an vielen Stellen davon, dass der Mensch aus jedem Wort lebt, das aus Gottes Mund kommt. Es ist schöpferisches und befreiendes Wort. Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte im Osten und Westen betonten in ihren Predigten unentwegt, dass das Wort Gottes Leben ist. Es ist kein leeres Wort, sondern ein lebendiger Aufruf zur Begegnung mit Gott. Die ganze Schrift ist auf ein Du ausgerichtet, auf ein Du, dem es Leben schenken will. Papst Franziskus hat hervorgehoben, dass es der Heilige Geist ist, der durch die Heilige Schrift „den Atem Gottes in die Welt“ trägt und das Herz der Gläubigen „mit der Wärme des Herrn“ erfüllt.
Es ist Christus selbst, der spricht
Im 20. Jahrhundert entdeckte die Kirche das Wort Gottes wieder mit Freude als Quelle, die nicht nur über Gott spricht, sondern Ort wirklicher Begegnung mit ihm ist. Die Liturgie ist dabei ein besonders wichtiger Ort, wo dem auferstandenen und erhöhten Herrn Jesus Christus begegnet werden kann. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte, dass Christus in seinem Wort gegenwärtig ist, denn er ist es selbst, der spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen wer-den.5 Es ist derselbe Christus, der die Gläubigen im Wort nährt, und der in der eucharistischen Speise zu ihnen kommt. In Anlehnung an die Kirchenväter kann man deshalb von einer „Kommunion des Wortes“ sprechen.
Sorgfalt im Umgang mit dem Wort des lebendigen Gottes
Von daher versteht sich, dass unsere grösste Sorgfalt auch der „Kommunion des Wortes“ gelten muss, wenn wir den Gottesdienst vorbereiten und feiern. Die Lektorinnen und Lektoren, Seelsorgerinnen und Seelsorger, Diakone und Priester – und nicht zuletzt auch wir Bischöfe – setzen sich mit den ihnen anvertrauten Abschnitten aus der Heiligen Schrift auseinander und tragen sie aus den eigens dafür gestalteten Büchern vor. Denn auch das Lektionar symbolisiert in gewisser Weise die Heilige Schrift als Ganze und somit die Gottesbegegnung, die sich ereignen will, wenn daraus in versammelter Gemeinde gelesen wird.
Neue Erfahrungen eröffnen
Im Glaubensbewusstsein vieler Mitfeiernder ist dieses Verständnis des Wortes Gottes nur wenig verwurzelt: dass es tatsächlich nährende Gegenwart Gottes ist. Erwarten wir wirklich, dass uns Christus im Wort entgegenkommt? Rechnen wir damit, dass der im Wort gegenwärtige Herr uns durch sein Wort zusammen-führt? Umso wichtiger ist, dass wir uns neu für das Wort Gottes öffnen und uns von ihm berühren lassen. Was dies bewirken kann, haben die Bischöfe intensiv erlebt, als sie im Jahr 2008 zur Synode über das Wort Gottes in Rom zusammen-kamen. Das anschliessende Schreiben von Papst Benedikt XVI. berichtet davon.
Es heisst dort: „Gemeinsam haben wir das Wort des Herrn gehört und gefeiert. Wir haben einander erzählt, was der Herr im Gottesvolk bewirkt, haben Hoffnungen und Sorgen miteinander geteilt. All das hat uns bewusst gemacht, dass wir unsere Beziehung zum Wort Gottes nur innerhalb des ´Wir´ der Kirche vertiefen können, im Hören aufeinander und in der gegenseitigen Annahme. [ …] So konnten wir mit Freude feststellen, dass ´in der Kirche auch heute Pfingsten ist´“.
Wir laden alle Christinnen und Christen ein, mit dem Wort Gottes solche Erfahrungen der Begegnung mit Gott und untereinander zu machen. Das kommende Jahr der Bibel möge dafür Ansporn sein. Beachten Sie die entsprechenden Anregungen in Ihrer Pfarrei! Ein guter Einstieg dazu bieten die Schriftlesungen des Sonntagsgottesdienstes. Sie in kleiner Gruppe vorweg zu meditieren und dar-über auszutauschen, ist ein fruchtbarer Weg, das Wort Gottes während der Feier offenen Herzens zu empfangen.
Freiburg, 6. Dezember 2019
Die Schweizer Bischöfe und Territorialäbte